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Bundesebene

Die neue Gerechtigkeit

Gedanken zum Sonntagsevangelium (Mt 20,16) von Bundespräses Hans-Joachim Wahl.

„Jeder fühlt, auch wenn er es sich nicht klarmachen kann, dass ohne Gerechtigkeit das ganze menschliche, gesellschaftliche Leben auseinanderfahren und in roher Wildheit zugrunde gehen müsste.“ So sagt es Adolph Kolping einmal und spricht damit eine Wahrheit aus, die unabhängig von jeder Weltanschauung für ihn gültig ist.

Da hat einer den ganzen Tag die Hitze ertragen und geschuftet und bekommt am Ende des Tages denselben Lohn wie der, der erst in der letzten Stunde dazugekommen ist. Ist das gerecht? Da fährt das Leben doch auseinander, um bei den Worten Kolpings zu bleiben, da stimmt doch nichts mehr, weil der Auszahlungsbetrag sich offensichtlich nicht an der Leistung orientiert.

Wir stellen uns schnell auf die Seite derer, die den ganzen Tag gearbeitet haben und halten uns an der Leistungs-Entlohnungs-Regel fest. So gesehen ist die Sache natürlich ungerecht.

Tatsächlich geht es dem Gutsbesitzer nicht um Leistung und Entlohnung, sondern um Güte. Die, die den ganzen Tag nicht angestellt wurden und warten mussten, erfahren ganz persönlich diese Güte, die über die Gerechtigkeit hinausgeht.

Im Grunde stellt das Evangelium des heutigen Sonntags heraus, dass nicht die mangelnde Gerechtigkeit das Problem ist, sondern der Neid, der dem anderen nichts gönnt. Immerhin haben alle dem Angebot des Gutsbesitzers zugestimmt und sich auf ihren Lohn gefreut: ein Denar war genügend Geld, um die ganze Familie für einen Tag zu ernähren. Erst bei der Auszahlung schlägt die Stunde der Wahrheit:

Neid kann eine Gesellschaft spalten: solange mein Nachbar weniger bekommt als ich, kann ich das Meine genießen. Die Arbeiter haben ihresgleichen nicht gegönnt, was sie bekamen – dass andere Menschen in ihrer Nähe wesentlich mehr Geld zur Verfügung haben und vielleicht nicht einmal auf gerechten Wegen an dieses Geld gekommen sind, stört sie weniger. Es beunruhigt sie nicht einmal.

Die Angst, zu kurz zu kommen, der neidische Blick auf den oder die, die scheinbar oder tatsächlich mehr bekommen als ich, führt immer zu einer Schieflage. Die Bibel bietet uns Beispiele dafür: Kain und Abel, den verlorenen Sohn und seinen älteren Bruder, Maria und Marta oder eben die Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben und sich ungerecht behandelt fühlen. Immer wird der gütige, großherzig und souverän entscheidende Gott verkündigt, der für die heilbringende Wendung sorgt: „Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin? So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.“

So wird das Evangelium von der harten Nuss zum Anstoß, Gerechtigkeit neu zu denken und den Maßstab Gottes anzulegen, es wenigstens mit Güte und Großzügigkeit zu versuchen. Dazu macht Jesus im Evangelium immer wieder Mut. Adolph Kolping sagt es so:

„Gerecht sein heißt deshalb auch Gott ähnlich sein; die Würde des Menschen steigt und fällt mit seiner Gerechtigkeitsliebe.“

 

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